Das Herz berühren

das herz berührenMeine Lieben,

nutzt die Weihnachtszeit um zur Besinnung zu kommen und auch, um mal wieder auf Euer Herz zu hören.

Schon Goethe sagte: „Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.“

Die Parabeln und Gleichnisse des libanesischen Dichterphilosophen Khalil Gibran (1883-1931) erzählen in betörend schlichter Sprache von der menschlichen Suche nach Wahrheit und Aufrichtigkeit, berichten von Liebe und Freundschaft und geben einsichtsvolle Antworten auf die existentiellen Fragen des Lebens. Über 50 poetische Parabeln und Gleichnisse vermittelt Khalil Gibran in seinen Werken. Davon möchte ich heute 3 vorstellen.

Körper und Seele

Ein Mann und eine Frau saßen an einem Fenster, das auf den Frühling hinaussah. Sie saßen ganz dicht beieinander. Und die Frau sagte: „Ich liebe dich. Du bist hübsch, und du bist reich, und du bist immer gut gekleidet.“ Und der Mann sagte: „Ich liebe dich. Du bist ein schöner Gedanke, etwas, das viel zu erhaben ist, um es mit den Händen zu greifen, und ein Lied in meinen Träumen.“

Doch die Frau wandte sich verärgert von ihm ab und sagte: „Bitte lass mich jetzt allein, Herr. Ich bin kein Gedanke und auch kein Etwas, das durch deine Träume zieht. Ich bin eine Frau. Ich will, das du mich begehrst, mich, dein Weib und die Mutter deiner ungeborenen Kinder.“

Und so gingen sie auseinander.

Und der Mann sagte zu sich: „Sieh nur, nun hat sich soeben ein weiterer Traum in Nebel verwandelt.“ Und die Frau sagte: „Was ist das wohl für ein Mann, der mich in Nebel und Träume verwandelt?“

 

Die Statue

In den Bergen lebte einmal ein Mann, der eine Statue besaß, die ein alter Meister gearbeitet hatte. Sie lag vor seiner Tür mit dem Gesicht nach unten, und er schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit. Eines Tages kam ein Mann aus der Stadt an seinem Haus vorüber, ein Mann von Bildung, und als er die Statue sah, fragte er den Besitzer, ob er sie verkaufen würde. Der Besitzer lachte und sagte: „Aber bitte, wer will dieses öde, dreckige Stück Stein schon kaufen?“ Und der Mann aus der Stadt sagte: „Ich gebe dir diesen Silbertaler dafür.“ Und der andere Mann war erstaunt und hocherfreut.

Die Statue wurde auf dem Rücken eines Elefanten in die Stadt getragen. Und viele Monde später besuchte der Mann aus den Bergen die Stadt, und als er durch die Straßen ging, sah er vor einer Werkstatt eine Menschenmenge stehen, und ein Mann rief mit lauter Stimme: „Kommt herein und schaut euch diese Statue an, die schönste, die wunderbarste Statue auf der ganzen Welt. Zwei Silbertaler, und ihr könnt dieses fabelhafte Meisterwerk betrachten.“

Da bezahlte der Mann aus den Bergen zwei Silbertaler und ging in die Werkstatt, um die Statue zu betrachten, die er selbst für einen Silbertaler verkauft hatte.

 

Die Granatäpfel

Einst lebte ein Mann, der hatte in seinem Garten viele Granatapfelbäume. Und Herbst für Herbst legte er seine Granatäpfel auf silbernen Tabletts vor sein Haus und stellte Schilder daneben, auf die er mit eigener Hand geschrieben hatte: „Umsonst. Bitte bedienen Sie sich.“

Aber die Leute gingen einfach vorbei, und keiner nahm von den Früchten.

Da überlegte der Mann eine Weile und stellte im nächsten Herbst keine Granatäpfel auf silbernen Tabletts mehr vor sein Haus, sondern errichtete eine Tafel, auf der in großen Buchstaben stand: „Hier gibt es die besten Granatäpfel im ganzen Land, allerdings kosten sie auch mehr als alle anderen.“ Und siehe da, aus der ganzen Nachbarschaft strömten die Leute herbei und kauften.

 

Alles Liebe Kerstin

 

Quelle: Khalil Gibran „Der Wanderer“